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Hoher Funktionär des verbotenen Kalifatsstaates darf ausgewiesen werden

Datum: 13.06.2003

Kurzbeschreibung: 


Von einem hohen Funktionär des verbotenen Kalifatsstaats, nämlich dem Gebietsemir für Baden-Württemberg, der eine innere und äußere Abkehr von den Zielen des Kalifatsstaats nicht nach außen glaubhaft und überzeugend deutlich macht, geht eine Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland aus. Aus diesem Grund ist seine Ausweisung rechtmäßig. Dies entschied der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH) und wies die Beschwerde gegen einen die Ausweisung ebenfalls als rechtmäßig bestätigenden Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart zurück.

Der Antragsteller, ein 1962 geborener türkischer Staatsangehöriger, reiste im Alter von knapp 18 Jahren im Wege der Familienzusammenführung zu seinen im Bundesgebiet lebenden Eltern ein. Er erhielt zunächst befristete Aufenthaltserlaubnisse, später eine Aufenthaltsberechtigung. Er ist seit 1986 mit einer türkischen Staatsangehörigen verheiratet, die ebenfalls eine Aufenthaltsberechtigung hat und lebt mit dieser sowie den gemeinsamen im Bundesgebiet geborenen vier Kindern in familiärer Lebensgemeinschaft. Er ist seit 1990 durchgehend bei demselben Arbeitgeber beschäftigt und nicht vorbestraft.

Der Antragsteller war Gebietsemir für das Land Baden-Württemberg des sogenannten Kalifatsstaats und außerdem erster Vorsitzender des „Islamischen Zentrums Winnenden und Umgebung e.V.“, einer Teilorganisation des Kalifatsstaats. Dieser versteht sich als Wiederbelebung des durch Kemal Atatürk 1924 in der Türkei aufgelösten Kalifats. Ziel ist bei einer Einheit von Staat und Religion die Errichtung eines islamisch geprägten Staates, zunächst in der Türkei und später weltumspannend.

Der Bundesminister des Innern verbot am 8.12.2001 den Kalifatsstaat. In das Verbot sind auch das „Islamische Zentrum Winnenden“ und weitere in Baden-Württemberg ansässige Teilorganisationen einbezogen worden. Das Verbot wurde im Wesentlichen damit begründet, dass sich der Kalifatsstaat in aggressiv-kämpferischer Form gegen die verfassungsmäßige Ordnung und gegen den Gedanken der Völkerverständigung richte. Er strebe die Einführung einer islamischen Ordnung auf der Grundlage der Scharia mit dem Endziel der Weltherrschaft des Islam unter der Führung eines einzigen Kalifaten an. Das Verbot des Kalifatsstaats wurde durch Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.11.2002 bestätigt. Im Zuge des Verbotsverfahrens wurden u.a. auch beim Antragsteller Wohn- und Geschäftsräume durchsucht. Es wurden Belege dafür gefunden, dass er als Gebietsemir und Vorsitzender des Islamischen Zentrums in hervorgehobener Stellung in die Organisation des Kalifatsstaats eingebunden war und über wesentliche Entscheidungsbefugnisse verfügte.

Mit Datum vom 20.11.2002 wies die Stadt Winnenden den Antragsteller unter Anordnung der sofortigen Vollziehung aus dem Bundesgebiet aus. Zur Begründung wurde im Wesentlichen angegeben: Die vom Kalifatsstaat und den ebenfalls verbotenen Teilorganisationen ausgehenden Gefahren seien durch das Verbot nicht beseitigt. Der Kalifatsstaat setze seine Agitation und Propaganda fort, was verschiedene Publikationen belegten. Er kämpfe weiterhin für das Ziel einer islamischen Ordnung auf der Grundlage der Scharia mit dem Ziel der Weltherrschaft des Islams. Der Antragsteller sei nicht nur oberster Befehlshaber in Baden-Württemberg, sondern auch Bindeglied und Ansprechpartner zur Zentrale in Köln gewesen. Sein Verhalten sei fremdbestimmt und von einer fanatischen Überzeugung getragen. Dies lege den Schluss nahe, dass er weiterhin für die verfassungswidrigen Ziele des Kalifatsstaats arbeite, zu deren Verfolgung die Mitglieder und Anhänger ungeachtet des Verbots aufgefordert würden.

Ausgehend von dieser Sachlage kamen sowohl das Verwaltungsgericht Stuttgart wie auch der 1. Senat des VGH zum Ergebnis, dass die Ausweisung des Antragstellers rechtmäßig sei. Der Kalifatsstaat bekämpfe die freiheitliche demokratische Grundordnung, indem er sich gegen deren grundlegende Prinzipien wende, zu denen die Achtung vor den Menschenrechten, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition zählen. Ebenso werde die innere und äußere Sicherheit des Staates gefährdet. Diese Gefahren seien durch das vereinsrechtliche Verbot nicht beseitigt worden. Der Kalifatsstaat halte an seinen Zielen fest und setze seine Agitation und Propaganda durch Publikationen fort, was etwa folgende Ausschnitte aus diesen Publikationen belegten:

„Versuche mit allen Dir zur Verfügung stehenden Kräften die islamischen Sitten und Gebräuche auf allen Gebieten des Lebens am Leben zu erhalten und die fremden Gewohnheiten aus der Welt zu schaffen! Was z.B. die Begrüßung, die Sprache, die Geschichte, die Bekleidung ...., die Freude und die Trauer angeht, verhalte Dich entsprechend den Aussprüchen Mohammads! Breche Deine Beziehungen vollkommen ab zu den nichtislamischen Gerichten, zu den Urteilen und Beschlüssen dieser Gerichte, und zu den Clubs, Schulen, Zeitungen und anderen Institutionen, deren Auffassungen Deinen islamischen Auffassungen zuwiderlaufen! Trage in Deinem Herzen ständig die Absicht, den Jihad zu führen! Trage in Deinem Herzen ständig die freudige Erwartung, den Märtyrer-Tod zu finden“ (Beklenen ASR-I Saadet vom 10.7.2002).

„Wenn Sie von ganzem Herzen glauben, dass der Islam die einzig wahre Religion ist, müssen Sie aufrichtige Anstrengungen unternehmen, um dieser Religion zur Macht zu verhelfen. Entweder werden Sie es schaffen, dafür zu sorgen, dass diese Religion die Herrschaft erlangt, oder Sie werden sich für die Erreichung dieses Zieles Opfer und den Märtyrer-Tod finden. Darin wird Ihr Glaube gemessen werden. Wenn Sie an den Islam aufrichtig glauben, können Sie dort, wo eine andere Religion herrscht, nicht einmal in Ruhe schlafen - über die Selbstverständlichkeit, dass Sie dieser anderen Religion nicht dienen können, wollen wir erst gar nicht reden!“ (Beklenen ASR-I Saadet, Ausgabe Nr. 31 vom 31.7.2002)

„Es gibt ein einziges Grundgesetz, das die Menschheit von der bedrückenden Lage, in die sie geraten ist, befreien könnte: Das Grundgesetz des Korans! ... Die gegenwärtige Lage in der Türkei ist schlimm. ... Hier muss wieder der Islam das Sagen übernehmen. Der Koran muss zur Verfassung und die Scharia muss zum Gesetz werden, damit sich dieses Land in den Garten Eden verwandeln und ein jeder Mensch einer sicheren Zukunft entgegengehen kann. Oh unser Volk! Werfen wir das Grundgesetz von 1982 auf den Müll und halten an dem Grundgesetz des Korans fest, ohne zu versuchen, selber ein anderes Grundgesetz herauszudrängen!“ (Beklenen ASR-I Saadet, Ausgabe Nr. 15 vom 10.4.2002)

„Oh mein Allah! Lass bitte Deine monotheistischen Knechte, die sich angeschickt haben, Deine Religion auf der ganzen Welt durchzusetzen, nicht gescheitert dastehen! Verhilf uns bitte zum Erfolg und zum Sieg! Allah der Allmächtige wird den Muslimen, die den Heiden einen unbarmherzigen Kampf liefern, um dafür zu sorgen, dass die Religion Allahs die Herrschaft über die ganze Welt erlangt, mit Sicherheit zum Sieg verhelfen. Daran zweifeln wir nicht“ (Beklenen, ASR-I Saadet, Ausgabe Nr. 15 vom 10.4.2002)

„Oh mein Knecht! Hast Du dafür gekämpft, dass der Islam zum Staat wird? Hat man Dich aufgefordert, zu diesem Zweck Geld zu spenden? Bist Du dieser Aufforderung nachgekommen? Hast Du all dies getan? Hast Du Deine Aufgaben erfüllt? Es liegt nicht in unserer Hand, ob wir Erfolg haben oder nicht. Wichtig ist, dass wir Anstrengungen unternehmen, um Erfolg zu haben. ...“ (Beklenen ASR-I Saadet, Ausgabe Nr. 15 vom 10.4.2002

Als exponierter Repräsentant des Kalifatsstaats konkretisierten sich diese Gefahren in der Person des Antragstellers, was über das Vereinsverbot hinaus ausländerrechtliche Voraussetzung für die Ausweisung sei. Es müsse davon ausgegangen werden, dass ein indoktrinierter hoher Funktionär, wie der Antragsteller, sich durch ein Vereinsverbot nicht davon abhalten lasse, die Anhänger des Kalifatsstaats auch nach dem Verbot zur Bekämpfung der Demokratie aufzurufen. Zu den religiös-politischen Vorstellungen des verbotenen Kalifatsstaats gehöre es gerade, behördliche oder gerichtliche Verbote nicht anzuerkennen, und es sei eine kanonische Pflicht, gegen die Ungläubigen den Jihad zu führen. Eine innere und äußere Abkehr von den Zielen der verbotenen Vereinigung habe der Antragsteller nach außen niemals glaubhaft und überzeugend deutlich gemacht. Es sei nichts dafür ersichtlich, dass er sich nach außen erkennbar distanziert habe. Der Umstand, dass das Islamische Zentrum Winnenden und Umgebung e.V., dessen erster Vorsitzender er war, seit der Verbotsverfügung nicht mehr existiere und er seither keine Vereinsfunktion mehr ausübe, belege seine Loslösung von den Zielen des Kalifatsstaats nicht. Damit bestehe die Gefahr für die Bundesrepublik Deutschland fort.

Der Antragsteller genieße wegen seiner Aufenthaltsberechtigung zwar besonderen Ausweisungsschutz; er könne nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden. Diese Voraussetzungen lägen aber vor. Mit der Änderung des Ausländergesetzes durch das Terrorismusbekämpfungsgesetz sei ein neuer Regeltatbestand für die Ausweisung im Falle einer Gefährdung der freiheitlich demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit Deutschlands geschaffen worden. Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers habe Extremismus in der genannten Form im Rahmen einer wehrhaften Demokratie regelmäßig das Ende des Aufenthaltsrechts zur Folge.

Die Ausländerbehörde habe ihr Ermessen fehlerfrei ausgeübt. Etwaige Duldungsgründe seien geprüft worden, aber Anhaltspunkte etwa dafür, dass dem Antragsteller in der Türkei die Gefahr menschenrechtswidriger Behandlung drohen könnte, seien nicht ersichtlich. Fehlende Vorstrafen, der langjährige rechtmäßige Aufenthalt und die Achtung des Familienlebens stünden angesichts der vom Antragsteller ausgehenden schwerwiegenden Gefahren der Ausweisung nicht entgegen. Bei dieser Sachlage sei auch die Abschiebungsandrohung rechtlich unbedenklich (Beschluss vom 7.5.2003 - 1 S 254/03 - unanfechtbar).





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