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Ausweisung eines türkischen Staatsangehörigen wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes rechtmäßig

Datum: 19.11.2003

Kurzbeschreibung: 


Der schwere sexuelle Missbrauch von Kindern gehört - wie etwa Straftaten des Handels mit gefährlichen Betäubungsmitteln und schwere Gewalttaten - zu den Straftaten, welche die Ausweisung auch seit längerem hier lebender Ausländer schon allein zum Zwe-cke der Abschreckung anderer Ausländer rechtfertigen können. Diese Auffassung hat der 11. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (VGH) im Urteil vom 9.7.2003 vertreten.

Der im Jahre 1927 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Er ist seit 1950 verheiratet und hat sechs Söhne und drei Töchter. Die Töchter und ein Sohn leben mit eigenen Familien in Deutschland; die übrigen Söhne leben in der Türkei. Der Kläger war erstmals 1963 bis 1965 als Gastarbeiter nach Deutschland gekommen. 1971 reiste er erneut in das Bundesgebiet ein und arbeitete mit Unterbrechungen bei verschiedenen Firmen. Nach 1973 holte er Ehefrau und Kinder nach. Im Jahre 1980 erhielt er eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis; auch seine Ehefrau ist im Besitz einer solchen Aufenthaltserlaubnis. Der Kläger ist seit 1995 Rentner mit einer monatlichen Rente von etwa 310,-- EUR; seine Ehefrau war nie berufstätig. Er wird von seinen Kindern finanziell unterstützt.

Das Landgericht verurteilte den Kläger im Dezember 2001 wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Es traf im Wesentlichen folgende Feststellungen: Der Kläger habe an der achtjährigen Spielgefährtin seiner Enkelin sexuelle Handlungen vorgenommen (Einführen des Fingers in die Vagina) und von ihr an sich vornehmen lassen (Oralverkehr); zuletzt habe er sich auf das Mädchen gelegt und dabei ejakuliert. Im März 2002 wies das Regierungspräsidium den Kläger aus Deutschland aus. Das Verwaltungsgericht hat die hiergegen gerichtete Klage im Juli 2002 abgewiesen. Der VGH hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen; zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt:

Die Ermessensausweisung sei nicht zu beanstanden, weil sie durch gewichtige öffentliche Interessen gedeckt sei. Das gelte einmal hinsichtlich einer Wiederholungsgefahr. Der Kläger habe im strafgerichtlichen Verfahren geäußert, dass er noch über reges sexuelles Interesse verfüge, das ihn sehr quäle und beschäftige. Für eine außergewöhnliche Triebhaftigkeit spreche, dass er sich ohne Rücksicht auf die Folgen erstmals mit 74 Jahren zu der verwerflichen Tat habe hinreißen lassen. Therapeutische Hilfe habe er nicht in Anspruch genommen. Somit könne eine erneute Sexualstraftat nicht hinreichend sicher ausgeschlossen werden. Das Alter des Klägers stehe dem ebenso wenig entgegen wie seine - altersentsprechenden und außerdem auch schon bei Tatbegehung vorhandenen - Gesundheitsbeeinträchtigungen.

Unabhängig von einer Wiederholungsgefahr sei die Ausweisung aber auch allein aus generalpräventiven Gründen gerechtfertigt, um andere Ausländer von der Begehung ähnlicher Sittlichkeitsdelikte abzuhalten. Der Schutz von Kindern vor Sexualdelikten sei eine überragend wichtige Aufgabe der Gemeinschaft und berühre ein Grundinteresse der Gesellschaft. Sexualtäter mit pädophiler Zielrichtung verstießen daher in hohem Maße gegen die öffentliche Sicherheit und das Schutzgut der öffentlichen Sittlichkeit. In solchen Fällen bestehe - wie bei schweren Betäubungsmittel- und Gewaltdelikten von Ausländern - ein dringendes Bedürfnis, über die strafrechtliche Sanktion hinaus durch Ausweisung andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten. Die Straftat des Klägers sei auch nicht durch entlastende Umstände gekennzeichnet. Er habe seine Vertrauensstellung als Aufsicht führender Großvater ausgenutzt und sich an einer erst achtjährigen Spielgefährtin seiner Enkelin vergangen, um sich sexuell zu erregen und zu befriedigen; dadurch habe er massiv in die körperliche und seelische Integrität des Kindes eingegriffen mit nicht abschätzbaren Folgen für dessen weiteres Leben. Das hohe Alter des Klägers nehme der Ausweisung auch nicht die Abschreckungseignung auf andere Ausländer. Im Gegenteil werde damit herausgestellt, welche Bedeutung die Rechtsordnung der sexuellen Integrität vor allem von Kindern zumesse mit der Konsequenz, dass auch Täter höheren Alters mit einschneidenden Maßnahmen rechnen müssten. Aufgrund dieser Umstände greife auch nicht der besondere Ausweisungsschutz, den das Europäische Niederlassungsabkommen türkischen Staatsangehörigen gewähre, wenn sie sich - wie der Kläger - seit mehr als zehn Jahren ordnungsgemäß hier aufgehalten hätten.

Die Ausweisung sei auch nicht unverhältnismäßig. Dem Kläger könne die Rückkehr in die Türkei trotz seines langen Aufenthalts in Deutschland zugemutet werden. Er habe die ersten Jahrzehnte seines Lebens in der Türkei verbracht und dort geheiratet. Seither habe sich der Kläger auch keineswegs von seinem Heimatland entfremdet. Denn er habe auch in Deutschland weitgehend im Kreis seiner Landsleute gelebt, wie seine bis heute mangelhaften Deutschkenntnisse zeigten. Sollte dem Kläger seine hier aufenthaltsberechtigte Ehefrau nicht in die Türkei folgen wollen, müsse er dies als Folge seiner verwerflichen Straftat hinnehmen. Die Rückkehr in die Türkei habe für den Kläger auch keine unzumutbaren wirtschaftlichen Belastungen zur Folge. Seine Rente könne ihm - ebenso wie die Unterstützungszahlungen seiner hier lebenden Kinder - in die Türkei überwiesen werden, wo die Lebenshaltungskosten niedriger seien. Aus diesem Einkommen könnten sowohl der Kläger selbst als gegebenenfalls auch seine Ehefrau ihre in der Türkei entstehenden Arztkosten begleichen, falls hierfür nicht ohnehin das dortige öffentliche Gesundheitssystem eintrete. Zudem könne der Kläger möglicherweise in dem Haus wohnen, das einer seiner hier lebenden - ihm nach eigenen Angaben sehr zugetanen - Tochter gehöre, und in dem auch einer seiner fünf in der Türkei lebenden Söhne wohne. Über die Frage, ob die Ausweisung im Falle einer nicht freiwilligen Ausreise durch Abschiebung in die Türkei vollzogen werden könne oder ob dem etwa eine Verschlechterung der Gesundheit entgegenstehe, habe das Regierungspräsidium zu befinden.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen (Az.: 11 S 420/03); hiergegen hat der Kläger Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht eingelegt, über die noch nicht entschieden ist.





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