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Karlsruhe: Versammlungsverbot bei Castortransport im Februar 2011 war rechtswidrig

Datum: 19.11.2013

Kurzbeschreibung: Das im Februar 2011 von der Stadt Karlsruhe (Beklagte) verfügte allgemeine Verbot von Versammlungen entlang der Strecke für einen Castortransport war rechtswidrig. Da das Verbot auch für friedliche Versammlungen galt, hätte es nur bei einem polizeilichen Notstand erlassen werden dürfen. Ein solcher Notstand ist jedoch - auch im Nachhinein - nicht feststellbar, weil die Stadt eigenen Angaben zufolge keine Erkenntnisse über die Zahl der damals voraussichtlich benötigten und zur Verfügung stehenden Polizeikräfte hatte. Das hat der 1. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (VGH) mit einem jetzt veröffentlichten Urteil vom 6. November 2013 entschieden.



Mit Allgemeinverfügung vom 8. Februar 2011 verbot die Beklagte alle Versammlungen in einem fünfzig Meter breiten Korridor entlang der Strecke für den Transport von Castor-Behältern im Stadtgebiet am 15./16. Februar 2011. Die Verfügung wurde im Amtsblatt der Stadt öffentlich bekannt gemacht. Ein vom Verbot betroffener Bürger (Kläger) erhob Widerspruch und beantragte beim Verwaltungsgericht Karlsruhe (VG) erfolglos vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutz. Mit seiner späteren Klage begehrte er die Feststellung, dass das Versammlungsverbot rechtswidrig war. Das VG wies die Klage ab. Die dagegen eingelegte Berufung des Klägers hatte Erfolg. Der VGH stellte fest, dass die Allgemeinverfügung rechtswidrig war und den Kläger in seinen Rechten verletzte.

 

Der Kläger habe nach Ablauf des Versammlungsverbots ein berechtigtes Interesse an der erstrebten Feststellung. Denn er habe dargelegt, auch bei künftigen Atommülltransporten durch Karlsruhe Versammlungen an der Transportstrecke veranstalten zu wollen, und es sei zu erwarten, dass die Beklagte zur Sicherung solcher Transporte vergleichbare Versammlungsverbote erlasse.

 

Die Allgemeinverfügung sei zwar entgegen der Ansicht des Klägers ordnungsgemäß öffentlich bekannt gegeben worden und auch inhaltlich hinreichend bestimmt gewesen. Es spreche auch vieles dafür, dass die öffentliche Sicherheit oder Ordnung nach den damals erkennbaren Umständen durch Versammlungen unmittelbar gefährdet gewesen sei. Denn die Erfahrungen mit früheren Castortransporten dürften die Annahme gerechtfertigt haben, dass es bei dem Castortransport eine hohe Gefahr für unfriedliche, vom Grundrecht der Versammlungsfreiheit nicht geschützte Versammlungen gebe, insbesondere in Form von Sitzblockaden auf den Eisenbahnschienen. Das könne aber letztlich offen bleiben.

 

Denn selbst wenn eine solche Gefahr bestanden habe, hätte sie jedenfalls kein umfassendes Verbot sämtlicher, also auch friedlicher Versammlungen gerechtfertigt, wie es die Beklagte verfügt habe. Soweit Rechtsgüter durch Dritte gefährdet würden, habe die Versammlungsbehörde zunächst gegen diese vorzugehen. Gegen eine friedliche Versammlung dürfe nur bei einem polizeilichen Notstand eingeschritten werden. Dieser liege vor, wenn die Gefahr nicht anders abgewehrt werden könne und die Versammlungsbehörde nicht über ausreichende eigene, eventuell durch Amts- oder Vollzugshilfe ergänzte, Mittel und Kräfte verfüge, um die Rechtsgüter wirksam zu schützen. Die Darlegungs- und Beweislast dafür liege bei der Versammlungsbehörde. Die Beklagte habe aber bereits nicht dargelegt, in welcher Zahl ihr Polizeikräfte zur Sicherung des Castortransports zur Verfügung gestanden hätten und wie viele Polizeibeamte voraussichtlich erforderlich gewesen wären, um ohne ein allgemeines Versammlungsverbot Störungen der öffentlichen Sicherheit zu verhindern. Ansatzpunkte für eine weitere gerichtliche Aufklärung des Sachverhalts gebe es nicht, nachdem der Vertreter der Beklagten in der Berufungsverhandlung ausdrücklich erklärt habe, dass der Beklagten bei Erlass der Verfügung keine Erkenntnisse zur Zahl der voraussichtlich benötigten und der zur Verfügung stehenden Polizeikräfte vorgelegen hätten.

 

Die Revision wurde nicht zugelassen. Gegen die Nichtzulassung der Revision kann binnen eines Monats nach Zustellung des Urteils beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig Beschwerde eingelegt werden (Az.: 1 S 1640/12).

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